InitiativeTabu Suizid e.V. - Düsseldorf

Erfahrungsbericht Mein Papa - 8 Jahre und 3 Monate später

 

8 Jahre und bald drei Monate

 

 

Du hast uns verlassen ohne zu gehen,

 

bist gegangen ohne dich umzudrehen.

 

So fühlte es sich an vor acht Jahren und bald drei Monaten. Auf einmal und plötzlich war meine Mutter eine Witwe, meine Schwester und ich Halbwaisen. Und wir fühlten uns verlassen, verraten, verletzt.

 

Dabei hattest du in erster Linie dich selber verlassen, Jahre der Depressionen hinter dir, das Gefühl der Kraftlosigkeit, der Hilflosigkeit! der Gleichgültigkeit, der Gefühlslosigkeit haben dein Leben bestimmt. Machtlos standen wir neben dir, vor dir, wollten helfen und konnten es doch nicht.

 

Mit den Jahren habe ich gelernt, dass man sich nur selber richtig helfen kann, da helfen keine gut gemeinten Ratschläge, kein noch so guter Hinweis. Die Brücken, die wir dir versucht haben zu bauen hast du nicht beschritten. Du hast einen anderen Weg gewählt. Raus aus diesem Wahnsinn, raus aus dieser Welt. Jetzt weiß ich, dass du nicht vor uns geflüchtet bist-denn auch das war einer dieser gnadenlos aufkommenden destruktiven Gedanken. Das hättest du nicht getan, denn du hast uns geliebt. Vielleicht so sehr, dass du uns keine Last mehr sein wolltest.

 

Aber fragen können wir nicht mehr, die Antworten müssen wir uns selber geben.

 

Geholfen hat mir in all den Jahren, den acht Jahren und bald drei Monaten, das Zusammentreffen mit Menschen, die das Gleiche durchlebten, die genauso fassungslos vor einem Verlust standen, die sich die gleichen Fragen stellten, nach Antworten schrien, die ähnlich empfanden und Trost suchten.

 

Den habe ich gefunden, jedes Mal neu, trotz aller schrecklichen Erfahrungen der anderen "Selbsthelfer". Manche kamen, um zu bleiben. Manche sah man nur ein einziges Mal. Jeder verarbeitet auf seine Weise, es gibt da keine Richtwerte oder Vorgaben wie man zu trauern hat. Das Gefühl, nicht allein zu sein, meine Gedanken teilen zu können und dabei nicht hinterfragt zu werden machen , diese Treffen zu etwas Wertvollem für mich. Wir begegnen uns und den Verstorbenen mit Respekt, akzeptieren jede Phase der Trauer und finden immer wieder Parallelen.

 

Neben meinem aktiven, völlig durchstrukturierten und geplanten Alltag gibt mir die Runde die Möglichkeit und den Raum, die Erinnerungen an meinen Papi wieder aufleben zu lassen. Ich möchte nicht verdrängen, möchte die Gefühle nicht wegsperren, denn er hat mir gezeigt, was passieren kann, wenn man sich selber nicht mehr lieben kann.

 

Mein Leben ist meine Verantwortung und ich werde diese-auch für meine Kinder- immer tragen. Und ich wünschte, das hätte mein Papi auch getan. Ich wünschte, er hätte die ersten Anzeichen ernst genommen. Ich wünschte, er wäre zum Arzt gegangen, hätte sich irgendjemandem anvertraut, noch Hoffnung schöpfen können. Ich wünschte, er könnte seinen drei Enkelsöhnen beim Fußballspielen und Toben zugucken.

 

Und das wünsche ich mir immer noch auch nach acht Jahren und bald drei Monaten.

 

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