InitiativeTabu Suizid e.V. - Düsseldorf

Erfahrungsbericht eines Vaters:

 

"Selbsthilfegruppe"

 

Nein, ich hatte keine Vorstellung davon, was es bedeutet, ein Kind zu verlieren. Die Welt wie es sie einmal gab existierte plötzlich nicht mehr, im Grunde genommen brach alles zusammen, es gab keinen Halt mehr, nur noch Verzweiflung. In dieser Phase waren wir dankbar für jeden noch so kleinen Strohhalm, der uns in irgendeiner Weise Hoffnung geben konnte. Die Adresse der Selbsthilfegruppe war einer dieser Strohhalme. Ohne besondere Vorstellungen, aber mit der verzweifelten Hoffnung auf eine Lösung gingen wir kurz nach dem Schicksalsschlag dort hin.

Am Anfang war es eine von mehreren Aktivitäten um den Schmerz zu verarbeiten, doch schon bald stellte sich heraus, das die anderen Aktivitäten sich abnutzen bzw. nicht das Richtige für uns waren. Die Gespräche mit Bekannten konnte nicht auf "Augenhöhe" geführt werden, etwas was uns die Selbsthilfegruppe ermöglichte: Gespräche mit Betroffenen, die den Schmerz selbst empfanden. Hier waren keine Erklärungen notwendig, hier gab es keine noch zu gut gemeinten, aber für uns nicht umsetzbaren Ratschläge, die einem zeigten, dass der Anderen trotz allen guten Willens niemals verstehen würde.

Entweder kam zwangsläufig bei den Bekannten irgendwann der Punkt, dass sie sich wieder ihrem eigenen Leben zuwenden wollten, oder wir selber wollten sie nicht weiter mit unseren Problemen belasten. Wir wollten nicht bei jedem Treffen ein Gefühl der Trauer verbreiten, waren aber auch nicht in der Lage wie gewohnt fröhlich weiterzumachen. Aus diesem Grunde wurden die Treffen der Selbsthilfegruppe immer wichtiger. Hier durften, nein wollten alle Teilnehmer immer und immer wieder über das Geschehene reden. Die regelmäßigen Termine ermöglichten es uns an den anderen Tagen ein wenig Normalität einkehren zu lassen, wir wussten ja um die nächste Möglichkeit über den Schmerz zu reden.

Am Anfang war die Ohnmacht, dass uns das passieren musste enorm groß. Wir hatten das Gefühl die ganze Welt wäre glücklich, nur wir wären davon betroffen und ausgeschlossen. Die Gruppe zeigte uns, das auch Andere von solchen Schicksalsschlägen betroffen sind und wir nicht alleine sind. Den Schmerz der Anderen zu spüren hat von dem eigenen abgelenkt und in diesem Moment abgeschwächt.

Nach nunmehr 1 1/2 Jahren der regelmäßigen Teilnahme ist der Besuch ein fester Bestandteil unseres Lebens geworden. Ein Bestandteil, der es uns ermöglicht, das schreckliche Ereignis in unser Leben zu integrieren. Zusammen mit den regelmäßigen Besuchen am Grab sind es die Zeiten, in denen wir uns erinnern können, dürfen und wollen. Durch sie reduziert sich die Angst vor dem Vergessen. Nicht zuletzt dadurch ist es uns wiederum möglich ist in der übrigen Zeit zu versuchen in ein halbwegs normales Leben zurückzufinden.

Die Berichte der Betroffenen zeigen uns, dass wir alle im Wesentlichen die gleichen Phasen durchlaufen. Je nach Art des Schicksalsschlag und der Persönlichkeit sind sie bei den Einzelnen mal mehr, mal weniger stark ausgeprägt. Es hat uns Hoffnung gegeben, zu sehen, wie Betroffene nach mehreren Jahren oder auch Monaten bereits anders mit dem Schicksalsschlag umgehen konnten. Wenn auch das Gefühl nicht in der Lage war Hoffnung für die Zukunft zu geben, so konnte dies zumindest der Verstand. Auch dies war eine wesentliche Erkenntnis, das der Verstand zwar sehr wohl wusste was zu tun ist, die Gefühlswelt davon aber abgekoppelt ist und ihren eigenen langen Weg der Erholung gehen muss, um sich zu erholen. Den Glauben daran hat mir kein Psychotherapeut, Psychiater oder Bekannter geben können, sondern nur die Erfahrungen der Betroffenen in der Selbsthilfegruppe und die vielen kleinen Fortschritte die wir selber gemacht haben.”

 

 

Sept. 2015


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